Europäische Ethnologie (Volkskunde)


Anders als die Ethnologie (Völkerkunde) untersucht die Europäische Ethnologie (Volkskunde) nicht fremde Kulturen, sondern widmet sich dem eigenen kulturellen Hintergrund. Die Entstehung der Wissenschaftsdisziplin im 19. Jh. führte zu einer Konzentration auf das Sammeln und Bewahren von Zeugnissen der durch den Wandel im Zuge der Industrialisierung verdrängten Lebensformen. Besondere Schwerpunkte bildeten dabei das Archivieren mündlicher Überlieferungen, von Bräuchen und Sitten sowie von Zeugnissen der Sach- und Alltagskultur.
Neben Realien wurden auch Zeitzeugenberichte wichtige Quellen der volkskundlichen Forschung. Ein Beispiel dafür ist der Atlas der deutschen Volkskunde (ADV). Er basiert auf in den 30iger Jahren durchgeführten umfangreichen Befragungen zu Bräuchen im deutsprachigen Raum. Er stellt daher auch eine wichtige Quelle zur Sepulkralkultur dar. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die in der Romantik des 19. Jh.s wurzelnden Vorstellungen von einer deutschen Volkseele, die mit bestimmten kulturellen Erscheinungsformen verbundenen ist, instrumentalisiert und missbraucht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde daher eine grundlegende Neuausrichtung des Faches vollzogen. Zentral für diesen Prozess ist die Entwicklung eines Kulturbegriffes, der Kultur nicht mit einer Gesellschaft oder Gruppe gleichsetzt, sondern von einer Vielfalt der Kulturen ausgeht. Damit verbunden war die Entwicklung neuer gegenwartsbezogener Fragestellungen mit soziokultureller Ausrichtung sowie einer europäischen Perspektive besonders ab 1970. Auch die Neubenennung des Faches an vielen Universitäten Deutschlands (z. B. Europäische Ethnologie, Empirische Kulturwissenschaften) ist in diesen Zusammenhang zu stellen.

Grabengel (Ausschnitt), © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, Foto: Ute Franz-Scarziglia