Die Arbeitsgemeinschaft Sepulkralkultur der Neuzeit (ar.se.n.)
wurde 2009 gegründet, um kulturhistorische Erscheinungsformen, die mit Tod und Bestattung zusammenhängen,
auf interdisziplinärer Basis zu erforschen. Soll dieses Unternehmen gelingen, müssen die entsprechenden
Kompetenzen auch in der Lehre vermittelt werden. Daher freuen wir uns, im Folgenden das Studienprojekt
„Das letzte Hemd hat keine Taschen“ für Studierende im vertiefenden Bachelor-Studiengang Kulturwissenschaft
vorzustellen, das im Sommersemester 2017 an der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand.
Auf den folgenden Seiten finden Sie eine Einführung von Dozentin und ar.se.n.-Mitglied Juliane Lippok,
eine Fotostrecke zur Veranstaltung und die Ergebnisse der Studierenden. Zeichnung: Antje Kegel Im Sommersemster 2017 hatte Juliane Lippok die Möglichkeit,
das Q-Team „Das letzte Hemd hat keine Taschen - Materielle Dimensionen des Todes in der Neuzeit“ im Rahmen des
bologna.labs an der Humboldt-Universität zu Berlin anzubieten. Das fakultätsübergreifende bologna.lab wird
im Rahmen des Qualitätspakts Lehre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und eröffnet
Lehrenden und Studierenden Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten. Dabei steht es im Zeichen von Interdisziplinarität,
Flexibilisierung und Internationalisierung. Insbesondere die Q-Teams folgen dem Prinzip des Forschenden Lernens.
Wie Forschendes Lernen, Interdisziplinarität und Neuzeitarchäologie im Seminar aufeinandertrafen, und welche
Impulse sich für die Studierenden aber auch für die Forschung ergaben, ist Inhalt dieses Werkstattberichts. Foto: Juliane Lippok
Bedingung für die Durchführung eines Q-Teams ist daher eine übergreifende Forschungsfrage bzw. die Anbindung an ein Forschungsprojekt.
Die Studierendengruppe soll aus 5-10 Studierenden möglichst verschiedener Fachbereiche zusammengesetzt sein und 1-2 Semester an den
Forschungsfragen arbeiten. Der angestrebte Mehrwert für die Studierenden bestünde demnach in der Möglichkeit nicht nur Wissen zu
reproduzieren, sondern eigenständig zur forschen. Durch die Unterstützung der Projektleitung entsteht dabei
ein geschützter Raum bzw. ein Labor, um mit Fragen zu experimentieren. Der Mehrwert für die Lehrperson bestünde,
neben dem Sammeln von Lehrerfahrung im Bereich des Forschenden Lernens, in Denkanstößen und Anregungen,
die sie durch den interdisziplinären Austausch mit den Studierenden bekommen soll. Foto: Juliane Lippok
Auch dieser Aspekt wurde in den Feedbackrunden und auf den Posterstatements besonders betont (vgl. Poster).
Auch auf institutioneller Ebene wurde die Kooperation zwischen Kulturwissenschaft und Archäologie gerade wegen der
Ergänzung von Theorie und Praxis als gewinnbringend wahrgenommen.
Ausdruck dieser Wertschätzung war das abschließende Ausstellungsprojekt am Institut für Kulturwissenschaft.
Es entstand durch die Kooperation mit dem Q-Tutorium Fotogramm, das ebenfalls Teil des bologna.labs war.
Es war so möglich, die Posterpräsentation einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Dazu ist eine Modulabschlussprüfung (MAP) entstanden. Dazu ist ebenfalls eine Modulabschlussprüfung (MAP) entstanden. Ich danke den Förderern und Unterstützern und hoffe, das Seminar auf Grundlage der gemachten Erfahrungen am Institut
für Kulturwissenschaft im Wintersemester 2018 weiterführen zu dürfen.
Bitte beachten Sie, dass eine Verwendung des Materials ohne Erlaubnis der Verfasser_innen nicht gestattet ist.
Bei Rückfragen wenden Sie sich an arsen.berlin@gmx.de.
Forschendes Lernen
Eine Definition für Forschendes Lernen aus dem Leitfaden für Lehrende des bologna.labs lautet:
„Forschendes Lernen ist eine Lehr-Lernform, bei der die Studierenden eine selbst entwickelte Fragestellung
verfolgen und dabei den gesamten Forschungsprozess (also von Fragestellung bis Publikation der Ergebnisse,
Anm. J. Lippok) durchlaufen“.
Sepulkralkultur der Neuzeit als interdisziplinäres Projekt
Der Umbruch vom Spätmittelalter zur Neuzeit wird, nicht zuletzt im Zuge der Reformation, von tief greifenden
sozialen, politischen, religiösen und technischen Transformationsprozessen begleitet. Diese Prozesse scheinen
auch eine Veränderung der Bestattungspraktiken ausgelöst zu haben. Seit dem Aufschwung der Neuzeitarchäologie
vor allem in den 1990er Jahren zeigte sich schnell die materielle Dimension dieses Wandels. Die Prämisse,
dass in der Neuzeit ebenso wie im Mittelalter Bestattungen lediglich bei Eliten Objekte bzw. deren Spuren enthalten,
erwies sich als nicht haltbar. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie diese Funde zu interpretieren sind.
Die Neuzeitarchäologie allein kann diese Frage bisher nur unzureichend beantworten, da sie sich weitgehend auf
Funde und Befunde als Untersuchungsgegenstand beschränkt. Doch neben Funden wie Schmuck, Devotionalien,
Kleidungsbestandteilen und menschlichen Überresten sowie deren Spuren, stehen uns Schriftquellen wie
Bestattungsordnungen, Leichenpredigten und Testamente, Bildquellen wie Leichenporträts, Epitaphien und Grabsteine
sowie oberirdisch erhaltene Memorialobjekte zur Verfügung. Der Seminartitel „Das letzte Hemd hat keine Taschen“
nimmt also nicht nur Bezug auf populäre Vanitasmotive, sondern verweist auch auf die Komplexität und
Mehrdimensionalität von Grabkulturen, denn auch das Hemd ohne Taschen hinterlässt Spuren wie Textilreste, Ösen oder Knöpfe.
Die übergeordnete Frage des Q-Teams lautete daher:
Inwiefern kann die materielle (Sepulkral)Kultur der Neuzeit zur Rekonstruktion vergangener Realitäten beitragen?
Das Seminar eröffnete theoretische und methodische Zugänge entlang der Hauptlinien "Ding – Bild – Schrift".
Da es sich um eine einsemestrige Veranstaltung gehandelt hat und ein Durchlaufen des gesamten Forschungsprozesses
daher unrealistisch war, wurde der Schwerpunkt auf das Finden einer eigenen Frage gelegt. Als Abschlussprodukt haben
die Teilnehmenden ein Poster mit ihrer Fragestellung, einem abstract zum Forschungsprojekt, das daraus entstehen
könnte und einem persönlichen Statement zum Seminar angefertigt. Dazu kommen zwei Modulabschlussprüfungen, die in
Form eines Forschungsbeispiel das abstract vertiefen. Die Veranstaltung richtete sich an Studierende im vertiefenden
Bachelorstudium und fand am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Letzteres hatte
zwei Gründe. Der erste ist praktischer Natur. Der Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte wurde mit dem auslaufenden
Wintersemester 2009/2010 geschlossen, sodass eine Anbindung an einen Studiengang mit einem Schwerpunkt im Bereich
Mittelalter- oder Neuzeitarchäologie nicht möglich war. Der zweite Grund ist inhaltlich begründet.
Das Institut für Kulturwissenschaft der HU Berlin geht von einem praxissoziologischen Ansatz aus,
der die Fragestellung in den Mittelpunkt stellt und dann fragt welche Quellen und Methoden zu deren Beantwortung beitragen.
Daher ist das Institut gut für fächerübergreifende Formate geeignet.
Wurden die Seminarziele erreicht?
Sowohl die Feedbackrunden, als auch die Statements auf den Postern haben gezeigt, dass die Studierenden die
Interdisziplinarität des Seminars besonders schätzten und diesen Aspekt im Studium vermissen (vgl. Poster).
Das Interesse der Studierenden an fächerübergreifenden Kooperationen konnte also aufgegriffen und geschärft werden.
Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass die Heterogenität der Studiengruppe eine Herausforderung war.
Sowohl inhaltlich, als auch methodisch hatten die Studierenden, dadurch dass sie aus so unterschiedlichen
Fachrichtungen wie beispielsweise Geschichte und Erziehungswissenschaft kamen sehr unterschiedliche Wissensstände.
Einerseits fungierte das Studium der Kulturwissenschaft als Klammer, andererseits hatte niemand der Teilnehmenden
ausgeprägte archäologische Vorkenntnisse. Es erforderte Zeit, eine gemeinsame Basis zu schaffen und die Studierenden
darin zu unterstützen, eigenständig zu arbeiten. Das liegt auch daran, dass die Studierenden in Forschungskompetenzen
wie Eigenständigkeit und Flexibilität wenig geübt sind. Diese Beobachtung und ihre Relevanz nicht nur für das
Studium der Kulturwissenschaft wird dadurch gestützt, dass die anderen Q-Teamleiterinnen und Q-Teamleiter bei den
gemeinsamen Arbeitstreffen Ähnliches berichteten. Die Arbeit im Seminar war daher eher prozess- als ergebnisorientiert,
es ging zunächst darum die Phasen des Forschungsprozesses zu verstehen und die Forschungskompetenzen zu entwickeln.
Das systematische erproben theoretischer Modelle und praktischer Arbeitsformen fand daher nur eingeschränkt statt.
Im Mittelpunkt standen partizipative, feedbackorientierte Ansätze, die die Beteiligung aller und eine beständige
Reflexion des Arbeitsprozesses ermöglicht haben.
Die Fachfremdheit der Studierenden war aber auch von Vorteil, da das Seminar von der entstehenden Multiperspektivität
profitierte. Daher konnten auch auf dieser basalen Ebene eines Seminars für Studierende im Bachelorstudium Impulse
für die Forschung generiert werden. Das betrifft u.a. Hinweise auf bisher nicht untersuchte Quellen und
schlägt sich zum Teil in den formulierten Teilfragen nieder. Ein weiterer Vorteil war, dass die Studierenden der
Kulturwissenschaft durch den stärker theoretisch ausgerichteten Ansatz, Sachverhalte - wie den Umgang mit
menschlichen Überresten - kritisch hinterfragten. Die Teilnehmenden profitierten wiederum stark von der ausgeprägten
Praxisorientierung der Archäologie, die ich z.B. im Rahmen einer Exkursion in das Anthropologiebüro von
Dr. Bettina Jungklaus einbrachte.
Juliane Lippok